Schöne neue Arbeitswelt
„Es bleibt alles beim Alten, es bleibt beim 8 Stunden-Tag“, werden Kanzler Kurz und sein Vize Strache nicht müde, gebetsmühlenartig herunterzuleiern. „Lediglich die Flexibilität werde geschaffen, in Ausnahmefällen auch bis zu 12 Stunden zu arbeiten“. Soweit so gut. Aber was heißt das nun konkret? Wie bereits Ministerin Köstinger so schön sagte: „Da trennt sich a bissl die Realität von der Wirklichkeit.“
Alle(!) Arbeitnehmervertreter finden das neue Arbeitszeitgesetz, das nicht nur die vielzitierte (und in der Theorie sogar durchaus sinnvolle) Flexibilisierung bringt, sondern in einem Aufwaschen auch gleich die Belegschaftsvertretungen erheblich schwächt (die bisher übrigens durchaus in der Lage gewesen wären, die nun gesetzlich diktierte Lösung im Einvernehmen mit AG und AN herzustellen), ziemlich doof.
Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer sowie führende Vertreter großer Unternehmen und Konzerne finden es total suprig (immerhin haben sie es auch maßgeblich geschrieben und/oder durch großzügige Zuwendungen in Form von Parteispenden günstig mitgekauft).
Wie man angesichts dieser recht einfachen und leicht verständlichen Tatsachen noch annehmen kann, diese Veränderung sei auch nur ansatzweise im Sinne (eines größeren Anteils) der ArbeitnehmerInnen, ist mir persönlich schleierhaft. Wer das weiterhin glaubt, glaubt auch an die Sinnhaftigkeit von Kickls drolligen Polizeirössln.
„Freiwillig“ wird à la longue für eine Vielzahl von ArbeitnehmerInnen lediglich der Antritt der Erwerbslosigkeit sein – in der man dann dafür bald existenzbedrohend weniger Leistungen beziehen wird können, um diese „Flucht“ auch g’scheit zu erschweren. Mehr Wahlfreiheit für Angestellte und Arbeiter? Selten so geLOLt.
In der Bubble derjenigen Privilegierten, die das Glück haben, in Branchen zu arbeiten, in denen man als Unternehmen um Mitarbeiter aktiv wirbt und Employer Branding sowie echte Mitarbeiterorientierung einen namhaften Stellenwert haben, schaut das alles sicher ganz lustig aus.
Für Angestellte in Handel, Gewerbe, Industrie, etc. (speziell in den weniger qualifizierungsbedürftigen Bereichen), die Flexibilität und faire Dienstverhältnisse im Sinne der Belegschaft zumeist nur vom Hörensagen kennen, ist die Welt halt leider ein bissi weniger rosarot. Oder türkisblau. Je nachdem.
Die freiwillige und fair abgegoltene Mehrleistung aus ArbeitnehmerInnensicht zu erleichtern (die Möglichkeit dafür existiert ja bekanntlich längst) ist und bleibt tatsächlich eine außerordentlich gute Idee. Die vielen tausend Menschen, die in den Genuss kommen, dies auch _wirklich_ aus freien Stücken zu tun, können tatsächlich froh sein.
Die zweifelsohne deutlich überwiegende Mehrheit jedoch, die verliert. Schlicht und ergreifend.
Triftige Gründe und so
Was an der grandiosen neuen Segnung für alle unselbständig Erwerbstätigen übrigens auch erwähnt werden sollte: Der Arbeitnehmer kann nicht ohne triftigen(!) Grund eine Ausweitung seiner Arbeitszeit ablehnen – völlig egal ob es in seine persönlichen Planungen passt oder nicht, er gerne an dem Tag einfach „nur“ Freunde getroffen hätte oder schlicht seine Freizeit genießen hätte wollen.
Der Arbeitgeber muss hingegen originellerweise keinerlei (geschweige denn triftige) Begründung (etwa nachweisliche betriebliche Erfordernis) abgeben, wieso er einseitig und abrupt (weil natürlich ohne auch nur irgendeine Verpflichtung zur Vorankündigung!) mehr Arbeitsleistung am Stück (und – jetzt neu! – mit deutlich geminderter „Gefahr“, diese auch vergüten zu müssen) einfordert. Quasi nach Gutdünken und je nach Lust und Laune.
Sicher, ein paar Wochen später kann man als AN dann (vielleicht) mehr geblockte Freizeit am Stück haben – wovon man dann aber vielleicht genau gar nix hat, weil zB. die/der PartnerIn anders freiwillig flexibilisiert wurde oder die Kinder überraschenderweise dessen ungeachtet in der Schule sind. Oder weil der zustehende Zeitausgleich dann in Form von originellen Lösungen wie etwa generösen 4h-Tagen „gewährt“ wird.
Die gewonnene Freizeit kann man dann aber eh gleich sinnstiftend nutzen, um all die Dinge aufzuholen, die man bei (bisher) regulärer und vorausplanbarer Einteilung der Arbeitszeit auch vor oder nach Dientschluss problemlos erledigen hätte wollen/können (nicht akute Arztbesuche, Handwerkertermine, Besorgungen, Haushaltsführung, etc.).
Vom Hudeln kommen nicht nur sprichwörtlich die Kinder, sondern auch faktisch die Arbeitszeitausdehnungen
An dieser Stelle ein Service-Announcement für alle Handels- und Gewerbeangestellten (also leider nicht nur die orthodoxen Bastianer und einfältigen HC-Jubilanten, sondern auch die, die sich nicht vom Schließen der diversen Routen, über die längst kaum noch wer kommt, beeindrucken lassen): Heuer zur Vorweihnachtszeit braucht Ihr durch das Inkrafttreten im September (statt wie ursprünglich angepeilt Jahresbeginn 2019) keine allzu umfassenden Pläne zu schmieden. Spart es Euch einfach. Ihr könnt dann im Februar dafür lange Wochenenden haben. Vielleicht. Oder halt 4h-Tage. Ihr werdet es schon noch rechtzeitig (also am Vortag, wenn Ihr artig wart, sonst zu Mittag des betreffenden Tages) erfahren… 😉
Der völlig überhastete vorgezogene Start der freiwilligen(!) Flexibilisierung der Arbeitszeit hat natürlich ganz sicher NIX damit zu tun, dass direkt im Anschluss das Back2Office- und kurz darauf auch gleich das Jahresend- bzw. Weihnachtsgeschäft losgeht und man sich die Aushilfen oder gar bezahlte Überstunden sparen kann.
Praktisch, gell?
Bild: © Parlamentsdirektion / Thomas Topf (Quelle)