Curro ergo sum – eine Ode an den Laufsport
46 Jahre lang war ich überzeugt, dass das Laufen als Sportart fad, eintönig und vor allem anstrengend sei. Letzteres ist natürlich bis zu einem gewissen Grad nach wie vor „gültig“, fad und eintönig jedoch definitiv nicht (mehr). Mehr als vier Jahrzehnte hatte es gedauert, bis ich mir schlussendlich die wunderbare Welt des Laufsports – buchstäblich Schritt für Schritt – zu erschließen begann.
46 Jahre. So lange hatte der „innere Schweinehund“ konsequent und unüberhörbar laut vor sich hin gebellt, bis er im September 2022 endlich weitestgehend verstummte.
Welches Ereignis, welcher Gedanke oder welche Aktivität letztlich den konkreten Ausschlag zum beherzten Start ins aktive Mittvierziger-Sportleben gab, vermag ich ehrlich gesagt nicht konkret zu beantworten. Es waren schließlich mehrere Einflüsse, die mich überzeugten, doch einmal die Laufschuhe zu schnüren und sie auch widmungskonform zu nutzen.
Weg mit dem Speck? Ja, auch, aber nicht nur.
Einer dieser Einflüsse war zweifelsohne die Unzufriedenheit „mit mir selbst“, sprich meiner Ausdauer, meiner allgemeinen Fitness und nicht zuletzt natürlich meiner Figur. Ich möchte schließlich – im Rahmen meiner Möglichkeiten und vorbehaltlich unvorhersehbarer Einwirkungen – vermeiden, mit 65 keine Stiegen steigen zu können oder mit (etwaigen) Enkelkindern keine halbwegs aktive Freizeitgestaltung genießen zu können. Der „Coronaspeck“ (der ehrlicherweise vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie eh auch schon da war, nur unter diversen anderen Namen) soll natürlich ebenfalls weg. Für mich als ehemaligen Raucher und seit rund acht Jahren Dampfer kommt dann noch ein gravierender kardiovaskulärer Aspekt hinzu.
Ein weiterer Auslöser waren die sommerlichen Schwimmmbadbesuche mit meinen Kindern. Als Chauffeur und Begleitperson wurde mir einfach schnell langweilig im Bad und somit begann ich sukzessive mit Bahnenschwimmen. Erst nur zur Abkühlung an den heißen Tagen, dann ging’s schnell auf immer ambitioniertere Distanzen, bis ich schließlich nach ein paar Wochen halbwegs regelmäßig meine 100-120 Bahnen (à 25m) absolvierte.
In dieser Phase legte ich mir auch erstmals einen Fitnesstracker (Garmin Vivoactive 4) zu, der mir dabei hilft, die Aktivitäten zu protokollieren und die Fortschritte zu messen sowie zu visualisieren.
Jeder „persönliche Rekord“, den ich übertraf, jedes :thumbsup von der Peer Group und jede Verbesserung des Stils sowie der Ausdauer brachten zusätzliche Motivation, weiter zu machen.
Als das lokale Freibad zum Saisonende seine Pforten bis zum Frühjahr schloss (das nächstgelegene Hallenbad ist für regelmäßigen Besuch ungünstig weit entfernt), musste Ersatz her. Der fand sich schnell mit dem beherzten Einsatz des Fahrrades, mit dem ich meine meist spätabendlichen Runden drehte und wöchentlich durchschnittliche 80-100km fuhr.
An dieser Stelle übrigens mein herzlichster Dank an meine adorierte Allerholdeste, die immer wieder aufbauende und lobende Worte für meine Bewegungsambitionen findet! 😘
Losgelaufen!
Was dann den letzten und entscheidenden Schubser in Richtung Laufsport an sich ausmachte, erzählt sich am besten in Anekdotenform:
Ich hatte bzw. habe eine liebe Arbeitskollegin, die sehr engagiert und recht umtriebig in Sachen Laufsport war – und natürlich nach wie vor ist. Als wir einige Jahre intensiver in einem gemeinsamen Team zusammenarbeiteten, sprach sie mich hartnäckig immer und immer wieder darauf an, doch einmal das Laufen auszuprobieren.
Es mache ur viel Spaß, sagte sie. Es sei total gesund, sagte sie. Es sei so gesellig, sagte sie. Sie würde mich auch beim Einstieg unterstützen, sagte sie.
Nein, sagte ich.
Immer und immer wieder.
Nicht etwa genervt oder gar sauer, nein, keineswegs. Meistens war es augenzwinkernd und unterhaltsam, wenn wir uns darüber unterhielten oder sie wieder einmal wie aus dem Nichts mit dem Vorschlag kam. Quasi eine Art „Running Gag“ (pun intended!).
Es fühlte sich einfach damals so surreal an, einfach nur ziellos vor sich hinzurennen. Und Zeit hatte ich natürlich auch nie. Und die Kondition erst. Und g’scheite Laufschuhe hatte ich auch keine. Kurzum: Irgendeine total ur gute Ausrede war stets parat, um ihre – retrospektiv betrachtet erstaunlich ausdauernden! – Versuche der Motivation nonchalant hinfort zu wischen.
Nein, sagte ich.
Laufen ist nix für mich, sagte ich.
Immer und immer wieder.
…und dann kam das Agile Coach Camp 2022. Ein dreitägiger Open Space-Kongress für Agilisten und Coaches in einer abgelegenen Seminarlocation mitten im idyllischen niederösterreichischen Nirgendwo. Dort ergab sich am ersten Tag die prekäre Situation, dass zwischen der letzten abendlichen Session und dem gemeinsamen Abendessen etwas mehr als eine Stunde Zeit frei blieb. Besagte Kollegin drehte sich – fieserweise auch noch vor zahlreichen Zeugen! – grinsend zu mir um und meinte salopp „Und? Gehen wir jetzt Laufen…?“. Eine richtig durchtriebene und nahezu rotzfreche Breitseite, nachdem sie sehr wohl wusste, dass in dieser Situation keine einzige meiner üblichen Ausreden glaubhaft zur Anwendung gebracht werden hätte können.
So fand ich mich wenige Augenblicke später keuchend und – soweit ich mich erinnere – leise vor mich hinfluchend auf einem Feldweg. Und ich lief. Ich lief außerordentlich langsam, aber ich lief. Sie wählte eine recht moderate Strecke und ermunterte mich wiederholt zu Gehpausen, dann wiederum zu leicht ambitionierterer Pace. Sie ermahnte mich bei unpassender Schrittfrequenz und achtete auf meine Haltung.
Im Nachhinein betrachtet machte sie das wohl goldrichtig. Sanfter Start, keine Überforderung, viele hilfreiche Tipps, da und dort der entscheidende Ansporn, doch noch ein paar flottere Schritte mehr zu machen. Insgesamt ein absolut großartiges erstes Einsteiger-Coaching.
Am nächsten Morgen folgte direkt der nächste Lauf (schließlich hatte ich immer noch bzw. schon wieder keine ausreichend stichhaltige Ausrede zur Hand), diesmal mit zwei weiteren Kolleginnen. Das Keuchen war freilich um keinen Deut leiser, aber es fühlte sich zu meinem großen Erstaunen richtig gut an.
Beide „Runden“ waren natürlich mit 2,25km bzw 2,52km und 73 bzw. 75 Höhenmetern außerordentlich bescheiden dimensioniert, aber es war ein Anfang. Der erste (Lauf-)Schritt wurde getan. Literally.
Fazit: Das Gebell des inneren Schweinehundes war urplötzlich extrem leise geworden und die intrinsische Motivation, es mit dem Laufsport doch noch zu versuchen, war geweckt.
Danke dafür, liebe Nicole! (Übrigens: Nicoles StartUp „Fire’s Adventures“ bietet viel mehr als „nur“ persönliches Laufcoaching – von abenteuerlichen Teambuildings bis hin zu professionellster Moderation von Workshops, Retrospektiven, Trainings, etc.!)
Wohin hat es mich bisher gebracht?
Heute, etwas mehr als zwei Monate später, habe ich bald rund 200 Laufkilometer mit insgesamt 1000 Höhenmetern und einer durchschnittlichen Pace von rund um 7:00/km (Tendenz: besser werdend, zuletzt Richtung 6:30) in den Beinen.
Von stolzen ~92kg Kampfgewicht bin ich mal vorerst auf Optimismus schürende ~85kg runter. Beim VO2 Max-Wert errechnet mir Garmin 45ml/kg/min und ein „Fitnessalter“ von geradezu juvenilen 31 Jahren (Top 25% meiner Altersklasse).
Und es fühlt sich absolut phantastisch an!
Der anfängliche Funke hat sich zu einem lodernden Feuer entwickelt. Alle paar Tage reißt es mich und irgendein persönlicher Rekord muss überboten werden. Sei es die Distanz, die Pace oder einfach das immer besser werdende Verhältnis „Laufen vs. sanft Joggen/Gehen“. Status quo: Kein Ende abzusehen.
Selbstverständlich wird es auch Phasen geben, in denen der Antrieb weniger groß sein wird. Ich hatte auch schon die ersten kleineren „Zwangspausen“ (einmal Knie, einmal Achillessehne, beides bei ambitioniertem Einstieg in den Laufsport nichts sonderlich ungewöhnliches), aber daweil geht der Trend signifikant in die richtige (Lauf-)Richtung…
Die zahlreichen Vorteile
Abseits der gesundheitlichen und physischen Vorteile, die das Laufen als Freizeitsport naturgemäß so mit sich bringt, sind für mich noch einige weitere Aspekte außerordentlich praktisch:
Da ist zum Einen die nahezu völlige Unabhängigkeit von Ort, Uhrzeit oder Saison. An Home Office-Tagen starte ich anstelle der morgendlichen Büroanreise mit einer Runde in den Tag, an Präsenztagen laufe ich tendenziell spätabends, wenn alles andere soweit erledigt ist. Eine Dreiviertelstunde zwischendurch unerwartet frei zur Verfügung? Ab in den Wald, auf den nächstgelegenen Feldweg oder einfach der Straße nach! Klar, gemeinsam mit Gleichgesinnten ist das Laufen – wie so vieles im Leben – einfach noch besser, aber man benötigt eben nicht zwangsläufig weitere Mitstreiter, um spontan eine kleine Runde machen zu können.
Oder auch: Man kann nebenher telefonieren („TelKo-Lauf“), Musik bzw. Podcasts hören oder einfach nur still vor sich hin sinnieren. Motto: Lass‘ die Seele baumeln und schick‘ die Gedanken spazieren, während der Körper trainiert.
Zudem ist es auch eine extrem familienfreundliche Möglichkeit, seinen Körper in Schuss zu halten. Entweder machen die Kids direkt mit, oder man macht seine Runden – dank Brustlampe kein Problem – eben nach den familiären „Abendritualen“ und hat nicht das Gefühl, wertvolle gemeinsame Zeit mit den Liebsten zu verlieren.
Ebenfalls eine schöne Erkenntnis: Laufen ist mittlerweile sehr weit verbreitet und die Community ist gewaltig. Es gibt Läufer*innen in allen denkbaren und undenkbaren Erfahrungsstufen und Fitnesslevels. Sie alle haben vergleichbare Erlebnisse und Journeys hinter sich, die sie auch zumeist sehr gerne teilen und weitergeben. Man ist definitiv nicht allein mit dem Thema und findet immer und immer wieder Ansprechpartner, die bei etwaigen Fragen bereitwillig weiterhelfen.
Danke auch Dir, lieber Helge, für Deine vielen wertvollen Tipps und die unterstützenden Inputs!
Last but not least ist es obendrein auch noch eine vergleichsweise „billige“ Sportart. Wenn man nicht gerade in hemmungslose Ausrüstungskaufsucht verfällt, ist man mit einem Paar günstiger Laufschuhe, einem brauchbaren T-Shirt, einer sportiven Hose und erforderlichenfalls einer geeigneten dünnen Jacke schon mit dabei. Eintrittskosten, unkündbare Abos oder besonders aufwändige und teure Geräteanschaffung erfordert es nicht.
Meine Erstinvestition waren 60€ für halbwegs passende Einsteigerschuhe und es ging schon los, einfach mit dem, was im Kleiderkasten so herumlag. Bald danach kamen noch ein weiteres Paar Schuhe (weil wasserabweisend, Winter is coming!), eine Brustlampe und zwei minusgradtaugliche Jacken hinzu. Achja, luxuriöserweise hab‘ ich mir noch leicht gepolsterte Sportsocken und sogar ein Hauberl gegönnt.
Verglichen mit einem selbst noch so günstigen Fahrrad, einer Skiausrüstung, einem Ergometer, einem Kitesurfer oder was auch immer eine regelrechte Okkasion. Bei meiner momentanen „Kilometerleistung“ könnte der Schuhkauf zwar theopraktisch bald eine alljährlich wiederkehrende Angelegenheit werden, aber auch dann bleibt es immer noch eine wohlfeile Investition in die Gesundheit.
Dringende Empfehlung hierzu: Lasst beim bzw. idealerweise vor dem Schuhkauf Eure Hinterpfoten von einem Fachmann begutachten! Ich beispielsweise habe im Zuge einer Laufschuhanalyse beim Wemove Runningstore in Wien festgestellt, dass ich aufgrund meiner ausgeprägten Neigung zur Überpronation (zu starkes Kippen nach innen) geeignete Schuhe mit ausgleichender Stabilisierung benutzen sollte, um vermeidbarer Abnützung und Verletzungen vorzubeugen. Nachdem dies – je nach Quelle – zwischen 45 und 60 Prozent aller Läufer*innen betrifft, sollte man darüber jedenfalls Bescheid wissen und gegebenenfalls auch ein passendes Modell wählen.
Stay tuned…
Ich habe aus heutiger Sicht keine Ahnung, wohin mich mein neu entdecktes Hobby tatsächlich mittel- und langfristig hinführen wird. Marathon, Ultra Running oder Iron Man werden’s so schnell nicht werden.
Überschaubare Trail Runs in quasi volkslauffähigem Gelände oder irgendwann auch mittlere Distanzen bis hin zum Halbmarathon? Who knows, ich möchte und werde mich da auf keine konkreten Vorhersagen einlassen, tendiere aber zu einem latent optimistischen Ausblick.
Bis Anfang 2023 würde ich jedenfalls gerne mal klassische 5km-FunRuns halbwegs gemütlich und mit „ausbaufähiger Einsteiger-Pace“ (rund um ~6:30/km) durchlaufen können. Bis zum Frühjahr möchte ich 10km mit wenigen oder gar keinen Walk-Abschnitten anpeilen.
Was danach kommen wird? Keine Ahnung.
Die schwierigsten Prognosen sind ja bekanntlich die, die die Zukunft betreffen.