Braucht Österreich ein Verbotsgesetz? Ja! Aber vermutlich anders.

Roland B. Seper

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5 Antworten

  1. WICHTIGER HINWEIS:

    Ich habe heute, 05.03.2010, wiederum aus aktuellem Anlass kleine, aber elementare Änderungen in Titel und Lead vorgenommen, mit deren Hilfe ich hoffe, meinen Standpunkt gleich zu Beginn des Posts klarer zum Ausdruck bringen.

    Ich bitte um Verständnis!

    mfG,
    Roland

  2. Ich versuche mich in einer Art Rechtfertigung:

    Was mich stört, ist die Verdammung eines extrem kleinen Spektrums der großen Gesamtmenge verdammenswerten Gedankenguts. Alles, was vom Verbotsgesetz nicht unmittelbar berührt wird und von den – pardon, dass ich das jetzt wiederkäue – “salonfähigen Kellernazis” an rechtsextremer Propaganda so herumposaunt wird, ist völlig frei von rechtlicher Bedrohung.

    Solange die Aussage “Ich kann mir vorstellen, dass potenziell vorhandene Restzweifel im Zusammenhang mit der systemischen Menschenlebenvernichtung des NS-Regimes nicht zu 100 Prozent aus der Luft gegriffen sind” unter das VG mit seiner großen Strafdrohung fällt, aber offen rassistische Aussagen wie “Ausländer sind wertlos und gehören allesamt deportiert” zwar einige Entrüstung, aber sehr wahrscheinlich kein folgenschweres gerichtliches Nachspiel haben, fehlt mir schlichtweg die Ausgewogenheit.

    Das resultierende Problem: Aussagen, die nach meiner Ansicht sowohl verhetzend, als auch menschenverachtend sind, schrammen “halt gerade so” am VG vorbei und erreichen auch noch nicht ganz die Verhetzung, ergo sind sie – voilà – juristisch einwandfrei und bleiben unantastbar. Daraus leite ich ab, dass das Festhalten am VG und die extrem scharfe Abgrenzung seines zulässigen Anwendungsbereichs eher schadet als hilft. Eine Integration in die Judikatur der Verhetzung, Herabwürdigung und verwandter Paragraphen und deren damit einhergehende Aufwertung gefiele mir als gesetztes Zeichen deutlich besser.

    Zudem macht es sich eine Gesellschaft recht leicht, wenn sie (bzw. deren pol. Vertretung) ein Gesetz erlässt, das – simplifiziert gesprochen – ausschließlich die Verleugnung bzw. Verharmlosung der fürchterlichen NS-Greueltaten und Neugründung der NSDAP untersagt, sich aber auf alle Zeit gemütlich darauf ausruht und der festen Überzeugung ist, dass auf diese Weise ohnehin nix mehr von rechts daherkommen kann.

    Es ist noch nicht ewig her, dass die FPÖ als zweitstärkste Partei in den Nationalrat einzog und nur aufgrund übler Verrenkungen des W. Schüssel nicht den Regierungschef(!) stellte. Unwahrscheinlich, aber nicht nur in grauester Theorie denkbar ist somit, dass Herr Strache (oder ein x-beliebiger anderer Rechtspopulist an der Spitze des FPBZÖ-Haufens) irgendwann in den kommenden Jahr(zehnt)en Regierungsbeteiligung oder gar Regierungsführung erreicht. Daran würde das VG in seiner jetzigen Form exakt nix ändern.

    Eine Ausweitung der Anwendbarkeit der Verhetzung bzw. der Herabwürdigung – etwa auf Aktionen wie die damalige Kreuzfuchtelei mit Hasstiraden auf den Islam oder vergleichbares – könnte jedoch deutlich hemmender wirken und möglicherweise wären somit die Grafs, Stadlers, Rosenkränze oder Gudenüsse dieses Landes nicht nur Reibebäume für die – oft aussichtslose, weil nicht ausreichend mehrheitsfähige – Kritik der Intellektuellen bzw. der Opposition, sondern endlich auch Fälle für Gerichte. Ich persönlich fänd’s an der Zeit!

  3. Franz Kuehmayer sagt:

    I respectfully disagree.

    Das VG ist ein staatliches Bekenntnis gegen Faschismus, und zwar nicht im Sinne einer Farbschattierung im Meinungsspektrum, sondern als ungeheuerliches Verbrechen und dessen zugrundeliegende menschenverachtende Geisteshaltung. Als solches hat das VG seine Daseinsberechtigung.

    Drei Punkte dazu:

    1) Ja, wir wollen unterstellen, dass vieles von dem, was im VG mit Strafe bedroht ist, eigentlich im Sinne eines gesellschaftlichen Grundkonsens ohnehin von der überwiegenden Mehrzahl der Österreicher völlig selbstverständlich abgelehnt wird, und daher eines eigenen Gesetztes nicht bedarf. Allerdings gilt dies auch für eine Vielzahl anderer Straftaten, und dennoch gibt es ein Gesetz dagegen. Anderes Beispiel: Auch die allgemeinen Menschenrechte sollten im Grunde selbstverständlich sein, dennoch sind sie verschriftlicht.

    2) Erst fast 50 Jahre nach Ende des Kriegs hat sich ein Bundeskanzler für die Verbrechen des Nationalsozialismus öffentliche entschuldigt und die Verantwortung Österreichs dafür anerkannt (der Sozialdemokrat Vranitzky war das, zur Erinnerung!). Das war in den 90er Jahren, ist also noch nicht wirklich so lange her. Dazwischen gibt es immer wieder Rülpser vom rechten Rand, auch in der Spitzenpolitik. Wir dürfen uns meiner Meinung nach nicht zu sicher fühlen, dass die NS Zeit und ihr hetzerisches Gedankengut dunkle Vergangenheit sei, in die wir nicht mehr zurückfallen werden. Wehret den Anfängen, dieses Motto gilt nach wie vor. Auch in dieser Hinsicht leistet das VG seine Dienste.

    Und 3) Welches Zeichen wird soll mit einer allfälligen Abschaffung des VG gesetzt werden? Eine administrative Erleichterung durch Entrümpelung „toten“ Rechts? Dafür gäbe es wohl wirklichere lohnendere Betätigungsfelder. Oder eine inhaltliche Aussage? Die würde im öffentlichen Diskurs wohl stark verkürzt werden, was tendenziell den Falschen Auftrieb geben würde.

  4. ja, es braucht ein verbotsgesetz
    sowohl im sinne der wiederbetätigung wie auch in der absicht
    die verbreitung von rechtsradikalem gedankengut zu verhindern bzw. zu erschweren

  5. Markus Otti sagt:

    Da würde ich gerne eine dissenting opinion vertreten 🙂
    Das VerbotsG hat ja auch nicht zum Ziel, jede nationalsozialistische oder menschenfeindliche Haltung zu verhindern und diesbezüglich Denkverbote anzuordnen. Verboten ist vielmehr:

    § 3. Es ist jedermann untersagt, sich, sei es auch außerhalb dieser Organisationen, für die NSDAP oder ihre Ziele irgendwie zu betätigen.

    In den folgenden Paragraphen wird dann detailliert geregelt, was man sich in der Praxis darunter vorstellen darf. Ziel ist es durchaus nicht, Dummheit und Ignoranz gesetzlich zu bekämpfen – die sind natürlich jedermanns gutes Recht. Gefährlich wird es dort – und das ist der springende Punkt – wo sie für die altbekannten Zwecke des Nationalsozialismus eingespannt werden sollen, was erfahrungsgemäß zur Beseitigung der Demokratie und Völkermord führt. Wer es nicht lassen kann, darf gerne obskuren Ideologien anhängen und originelle Geschichtsauffassungen vertreten – öffentlich nur nicht in einer Art und Weise, aus der sich politisch im Sinne des Nationalsozialismus Kapital schlagen lässt. Ich bezweifle auch sehr, dass dein Beispiel (“die NSDAP hat in einigen Punkten wahrscheinlich ganz gute Arbeit geleistet”) tatsächlich unter das VerbotsG fallen würde: da käme es sehr auf die näheren Umstände der Aussage an, die schon sehr außergewöhnlich sein müßten, um zu einer Verurteilung zu gelangen, geschweige denn Höchststrafe…

    Ich würde sagen: Eine freie und moderne Demokratie muss den größten Deppen den Mund dann verbieten, wenn diese sich anschicken, sie mit bewährten Mitteln zu demontieren. Meinungsfreiheit ist kein absolut gewährleistetes Grundrecht. Wenn sie dazu missbraucht werden soll, mit erwiesenermaßen tauglichen Mitteln ihre eigene Grundlage (nämlich den demokratischen Rechtsstaat) anzugreifen, darf sie meiner Meinung nach durchaus eingeschränkt werden.

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