Politspektakel CERN?
Nach der Veröffentlichung von Wissenschaftsminister Johannes Hahns Entschluss, mit 2010 Österreichs Mitgliedschaft beim CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) ruhend stellen zu lassen, trat er – quod erat expectandum – eine kleine Lawine los. Teils lautstarke Proteste hagelt es von Vertretern der Wissenachaft, der Wirtschaft und der Politik. Keine zwei Wochen nach Hahns Erklärung stieg Bundeskanzler Werner Faymann auf die Bremse und erklärte medienwirksam „die Diskussion für beendet“. Politkabarett feinster Güte.
In seiner Aussendung vom 07. 05. 2009 begründete Hahn den de facto Ausstieg aus dem größten Forschungszentrum für Kernphysik der Welt mit den laufenden Kosten der Mitgliedschaft, die rund 20 Millionen Euro (davon 16 Mio. „Mitgliedsbeitrag“ und 4 Mio. Nebenkosten) jährlich betragen. Dieses Geld sei gegenüber anderen internationalen Kooperationen auf dem Wissenschafts- und Forschungssektor blockiert und soll auch keineswegs eingespart, sondern künftig in anderen Projekten investiert werden (siehe Aussendung des BMFW).
Während einige (wenige) zustimmende Meinungen den Ausstieg befürworteten, weil der „Physik-Dinosaurier“ CERN scheinbar wenig unmittelbar verwertbare Ergebnisse liefere und mit einer „Panne“ bei der Inbetriebnahme des jüngsten 3 Mrd. €-Großprojekts, dem Large Hadron Collider (LHC), unzählige Millionen in den Sand gesetzt haben soll, fanden sich Heerscharen von Wissenschaftern, Universitätsangehörigen, Studenten und auch Politikern unterschiedlicher Coleurs, die kopfschüttelnd von einer „Katastrophe“ sprachen.
An vorderster Front kämpfte die Plattform SOS – Save Our Science, initiiert vom Fachausschuss Kern- und Teilchenphysik (FAKT) und der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft (Austrian Physical Society), gegen den Ausstieg an. Auf der Website wurde mitunter eine Online-Petition gestartet, bei der sich jeder, der gegen eine Beendigung der CERN-Mitgliedschaft Österreichs ist, eintragen kann (Link). Zuletzt fanden sich dort rund 32.000 Unterzeichner.
Hahns unerwartete Ankündigung brachte auch ein Phänomen mit sich, das die heimische Politik selten zeigt: Eine (zumindest scheinbar) flächendeckende einheitliche Linie der Roten, Grünen, Blauen und Orangen. Zuletzt hat sogar der tiefschwarze Landesfürst Niederösterreichs, Erwin Pröll, seinen drohenden Zeigefinger in Richtung Minoritenplatz gehoben.
Offene Fragen bleiben
Auch wenn die Diskussion (zumindest für den Moment) vom Tisch sein dürfte, bleibt die Frage dennoch bestehen, ob Österreich mittel- und langfristig an der Mitgliedschaft bei CERN festhalten soll – oder muss.
Es gibt eine Menge guter Argumente, die für CERN – und eine Kooperation Österreichs mit diesem Projekt – sprechen:
- CERN brachte in den bisher mehr als fünf Jahrzehnten seines Bestehens eine Reihe elementarer Erkenntnisse auf seinem Stammgebiet, der Kernphysik hervor
- einige nicht unwesentliche Technologien für unser heutiges Internet stammen von CERN
- seit 1959 haben rund 150 österreichische Akademiker am CERN promoviert
- derzeit sind etwa 170 „unserer“ Wissenschafter dort beschäftigt
- Jahr für Jahr absolvieren viele Studenten österreichischer Universitäten Praktika und Auslandssemester am CERN
- Rückflüsse (bei der Eurofighter-Diskussion sprach man in diesem Zusammenhang von „Gegengeschäften“) für die heimische Wirtschaft in Höhe von bis zu 75 Millionen €
- nicht zuletzt sprechen auch Kosten in Höhe von jenseits der 100 Mio. € dagegen, die Österreich – aus heutiger Sicht – im Falle eines Austritts zu begleichen hätte (laut Finanzchef des Forschungszentrums, Thierry Lagrange)
Es gibt aber freilich auch eine Reihe von Gegenargumenten:
- Forschungsgelder in Höhe von rund 16 Millionen € (etwa 0,48% des Wissenschaftsbudgets) sind durch CERN geblockt und stehen anderen internationalen Kooperationen nicht zur Verfügung
- Möglichkeit, Forschungsschwerpunkte von der Kernphysik hin zu Bio- und Nanotech sowie anderen „zukunftsorientierteren“ Richtungen zu verlagern (die von Hahn genannten potentiellen Projekte finden sich mitunter hier)
- selbst im Falle eines Austritts wird es intensive Gespräche und daraus resultierende Kooperationsvereinbarungen zwischen Österreich und CERN geben, somit wird voraussichtlich kaum ein Doktorand oder Student wird um seinen Ausbildungsplatz am CERN „umfallen“
Die Pros und Contras gegeneinander abzuwägen liegt nicht in meinem Ermessen, da ich selbst weder (Natur-)Wissenschafter, noch politischer Entscheidungsträger bin. Dennoch sollte meines Erachtens ein weiterer Aspekt nicht aus den Augen verloren werden: Mögliche Auswirkungen auf die Reputation des Forschungsstandortes Österreich. Renommierte Fachpublikationen wie z.B. Nature und andere Medien im Ausland berichteten prompt auf die Austritts-Ankündigung. Und nur überschaubar wenige Stimmen kommentierten neutral oder gar wohlwollend.
Nun ist aber alles wieder gut und wir können hoffen, dass das internationale Echo entweder bald verstummt oder – was viel interessanter wäre – sich in eine europaweite Diskussion über die Institution CERN, ihre Daseinsberechtigung in der vorliegenden Form und etwaigen Änderungsbedarf hinsichtlich Struktur und Setup wandelt.
Ich persönlich bin mit der Entscheidung, Teil des Projekts CERN zu bleiben, alles Andere als unglücklich. Ich fühle mich schlichtweg sehr viel wohler in meiner Haut, wenn ich nicht nur geduldeter Zaungast, sondern Mitglied in einem Unterfangen bin, das mich grundlegend interessiert. Ich finde es insgesamt aber sehr schade, dass diese ganze Diskussion in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde und nicht vorab in einer Expertenrunde, die Hahn ganz ohne Kaffeesud und Kristallkugel ankündigen hätte können, dass ein solcher Schritt wohl kaum Beifallsrufe aus allen Richtungen mit sich bringt.
Wieso aber schafft es die heimische Politik nicht, solche Fragen im Vorfeld zu klären? Vor einigen Monaten hat ja bereits Claudia Schmied in eine nach langen Verhandlungsmarathon unter vehementer Streikandrohung seitens der Gewerkschaft angetretene Flucht in fadenscheinige Kompromisse bewiesen, wie schnell man sich mit einer unzureichend durchdachten und vorschnell publizierten Entscheidung in die Nesseln setzen kann.
Vielleicht hazardieren unsere Minister irgendwann nicht mehr, sondern arbeiten unter Einbindung entsprechender fachlicher Kompetenzen an ihren Ideen und präsentieren dann der (Welt-)Öffentlichkeit Reformvorschläge, die mehr sind, als halbherzige Kompromisse und Verbeugungen vor einzelnen kleinen Interessensgruppen.