Naturkatastrophe Super-GAU?
Es ist wirklich erstaunlich, mit welcher Kaltschnäuzigkeit die Vertreter der Atomlobby, zahlreiche Politiker und andere Befürworter der Kernenergie immer noch ihre salbungsvollen Mitleids- und Betroffenheitsbekundungen in jede sich bietende Kamera rezitieren – und stets sprechen sie von einer Naturkatastrophe. Die Glaubhaftigkeit dessen entspricht derjenigen eines Menschen, der tagtäglich im vollen Bewusstsein der Gefahr im Heustadl ein Lagerfeuer entzündet und sich dann wundert, dass nach einem Windstoß ein paar Funken zum Niederbrennen des ganzen Dorfes führen. Was für ein Pech. Höhere Gewalt halt. Kommt nicht mehr vor. Versprochen!
Ich habe in den vergangenen Wochen einigermaßen fassungslos Bilder und Videos gesehen, die an Tragik kaum zu überbieten sind. Da waren einerseits ein paar Diktatoren, die teils mit enormer Brutalität und Gewissenlosigkeit ihre eigenen Landsleute, die für halbwegs faire demokratische Verhältnisse einstehen, niedermetzeln ließen, andererseits erstickten ganze Landstriche einer der fortgeschrittensten Nationen der Erde rettungslos und innerhalb kürzester Zeit unter Wasser und Flammen. Hinzu kommt die immer noch drohende und sich kontinuierlich ausweitende Gefahr einer nuklearen Katastrophe, wie sie die Welt in dieser Form noch nie erlebt hat.
Furchtbare Bilder der Katastrophe und tränenrührende Dokumente der Vernichtung prägten die Berichterstattung über die Auswirkungen des in Folge eines Erdbebens der Stärke 8,9 aufgetretenen Tsunamis in Japan. Schiffe, Autos, ja ganze Häuser treiben in den Wassermassen, Menschen rennen – teils vergeblich – um ihr Leben. Die Anzahl der Opfer steigt unaufhaltsam. Hunderttausende menschliche Tragödien innerhalb weniger grauenvoller Stunden. Nicht zuletzt sorgt die bis zu 10 Meter hohe Welle für graviernde technische Gebrechen an neuralgischen Sicherheitselementen dreier küstennaher Atomkraftwerke. Der „Meltdown“, die Grundlage für den vielzitierten Super-GAU, rückte in bedrohliche Nähe – und verharrt zur Stunde ebendort. Lauernd. Vermutlich unvermeidbar, aber das vermag niemand außerhalb der – traditionell wortkarg bis beschwichtigend kommunizierenden – Regierung Japans mit Sicherheit zu sagen. Diejenigen, die dennoch ihren Senf dazu abgeben, plaudern vornehmlich irgendwelche Gerüchte nach, daher kam es auch in den vergangenen Stunden wiederholt zu Kernschmelzen, unmittelbar darauf folgenden Dementis und neuerlichen GAUs (da capo).
Über die potentiellen Folgen einer Kernschmelze und was radioaktive Verseuchung mit Mensch, Tier und Umwelt so anstellt, kann man derezeit in unzähligen Factboxes in den Medien nachlesen. Bei Wikipedia gibt es ebenfalls recht umfassende (und scheinbar fachlich ausgezeichnete) Artikel darüber. Besonders Neugierige machen einfach einen Ausflug nach Prypjat (heute eine Geisterstadt, bis zur Not-Evakuierung 1986 Heimat von ~ 50k Menschen) und schauen sich vor Ort an, was es bewirkt, wenn die Brennstäbe eines Kernreaktors überhitzen und hochradioaktives Material ungehemmt in der Umgebung verteilt wird. Man kann auch das mehrteilige Computergame S.T.A.L.K.E.R. spielen, das in der „Zone“ rund um den so genannten „Sarkophag“ angesiedelt ist, der 1986 als Sicherheitsmaßnahme um den explodierten Reaktorblock 4 errichtet wurde – und mittlerweile so desolat ist, dass ein neuer rundherum hochgezogen werden muss.
Reaktionen und Meinungen – teils widerwärtigster Natur
Was allerdings an der ganzen Situation wirklich in menschliche Abgründe blicken lässt, sind die unterschiedlichen Reaktion auf die Ereignisse in Japan. Während Einige – scheinbar um den Wert ICD-10 F72 herum mental Retardierte – in den Social Networks völlig deplatzierte Possen verbreiteten, ließen auch zahlreiche Wissenschafter, „Experten“ und andere Fachleute ihrer Logorrhoe freien Lauf.
Während man Manchen vermutlich keinerlei Böswilligkeit zum Vorwurf machen sollte, weil sie einfach nüchtern ihre Analysen ziehen und dabei schlicht den Faktor des menschlichen Verlusts weniger hoch einrechnen, als ich das an ihrer Statt täte, kommen andere zu haarsträubenden Erkenntnissen, die einzig und allein – pekuniär unterstützte – interessensorientierte Wurzeln haben können. So behauptete etwa ein – lt. Insert bei n-tv – führender US-Atomphysiker, dass es an der Pazifikküste der USA niemals zu einem solchen Unglück kommen könne – schließlich gab es dort ja noch nie einen Tsunami und ein Erdbeben zum gleichen Zeitpunkt. Nun, wenn ich mich da nicht sehr täusche, hätten das japanische Geologen bis ungefähr zum Morgen des vergangenen Freitags mit mindestens ebenso großer Selbstsicherheit behauptet…
Die durchschnittlich hartnäckigen unter den Befürwortern verharmlosen und sehen – erwartungsgemäß – keinerlei Handlungsbedarf. Die demnach völlig uneingeschränkte Sicherheit der Kernenergie wurde gebetsmühelenartig wiedergekäut und immer wieder wurde das Beispiel ausgegraben, dass ein deutsches AKW immerhin einen direkten Einschlag eines Passagierflugzeugs ohne Gefahr für den Reaktorkern überstehen könne. Hier sei nur der Vollständigkeit halber angemerkt: Zahllosen „Experten“ zufolge hätten auch die Twin Towers des World Trade Centers den Angriff von 9/11 problemlos überstehen müssen, wenn, ja wenn da nicht lauter total widrige Umstände so zufällig und punktgenau zusammengetroffen wären. Dass die dann doch irgendwann kollabierten, na, das konnte ja niemals niemand irgendwie ahnen…
Nein, ein Atom-Unfall ist keine Naturkatastrophe!
Immer wieder wird in den Statements ein meines Erachtens schwerer logischer (wenn auch teils bewusster kommunikativer) Fehler gemacht, indem das Beben und der Tsunami mit dem Atomunfall in einen Topf geworfen werden. Tektonische Plattenbewegungen und Flutwellen(sic!) sind sicherlich schwer dem Menschen und seiner schier unendlichen Gier in die Schuhe zu schieben. Selbst die hartgesottensten Hardcore-Ökos tun sich damit vermutlich ein wenig schwer.
Was aber definitiv nicht in die Kategorie „Naturkatastrophe“ fällt, ist der Umstand, dass ein Kraftwerk, dass im Schadensfalle so dermaßen desaströse Auswirken nach sich zieht, so gebaut wird, dass es zwar ein Maximum an – leistbarer – Energie und Profit produziert, aber nur ein im Rahmen von Gesetzesvorgaben auferlegtes Mindestmaß an Sicherheitskriterien erfüllt. Dies mag durchaus den allermeisten Ansprüchen genügen, aber seit spätestens Samstag wissen wir, dass es eben nicht ALLEN Ansprüchen genügt. Fazit: Man kauft billige Energie zu einem Preis, den man im Falle des Falles weder bezahlen, noch im Vorfeld versichern kann.
Man kann natürlich gerne entgegnen, dass der Mensch gar nicht in der Lage sein kan, ein Kraftwerk zu bauen, das einen ähnlichen Carbon Footprint wie Wasserkraft (was angenehmerweise auch gleich den Nachkaufsbedarf an CO2-Zertifikaten vermindert), aber trotzdem einen so hohen Output liefert, ohne dabei gewisse Risiken einzugehen – ganz zu schweigen von der bis dato völlig ungelösten Problematik der Endlagerung der hochradioaktiven Abfallprodukte. Dennoch wird man sich auch der Frage stellen müssen, welchen Stellenwert tatsächlich Faktoren abseits der Profitabilität einnehmen sollten: aus aktuellem Anlass seien hier wieder nur die Sicherheit der Menschen und die wirtschaftliche Situation einer ganzen Nationen angeführt.
Zugegeben, im Falle Japans darf man – so sich die Gesamtsituation nicht doch noch wesentlich verschlechtert – getrost davon ausgehen, dass sowohl der Yen, als auch der Leitindex Nikkei, als auch das soziale System mit einigen kleineren Dämpfern halbwegs gesund aus dieser Tragödie hervorgehen werden und der bevorstehende Wiederaufbau sogar ein wenig „Brummen im Konjunkturmotor“ mit sich bringen wird (was ja wiederum den Menschen zugute kommt, deren Haus, Job, ja deren ganze Existenz unwiderbringlich mit dem Tsunami im Pazifik verschwanden).
Was aber, wenn ein solcher Unfall in einer wirtschaftlich weniger gut aufgestellten Nation passiert? Oder in einer Krisenregion? Die ehrenwerte Liste der Betreiber aktiver AKWs beinhält immerhin so Wirtschaftswunder wie Armenien, Pakistan oder auch Kasachstan. Im Iran wird ebenfalls gebaut. Ob diese Nationen dann so rasch Mittel und Wege finden, die Folgen eines Meltdowns zu bereinigen bzw. den betroffenen Menschen zu helfen? Oder gar betroffenen Nachbarländern? Da darf ich jetzt doch bitte berechtigten Zweifel anbringen.
Alles bleibt anders.
Nach der Kenntnisnahme des Kippens der öffentlichen Meinung contra AKWs hinterfragte mittlerweile sogar Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (ihres Zeichens übrigens Physikerin) die erst im Vorjahr gegen starken öffentlichen Druck umgesetzte Laufzeitverlängerung fast aller 17 deutschen Kernkraftwerke – teils bis ins Jahr 2036. Nun sei zumindest eine gründliche „Sicherheitsprüfung“ Voraussetzung zur Aufrechterhaltung des Betriebs (was im übrigen die Frage aufwirft, ob diese etwa nicht VOR der Verlängerung der Betriebserlaubnis gemacht wurde…?). Heute, Montag, legte sie gar die ganze Entscheidung zur Ausdehnung der Betriebszeit im Rahmen eines Moratoriums auf Eis und einige der ältesten AKWs sollen tatsächlich in Kürze vom Netz gehen. Darunter etwa das KKW Biblis (dieses stammt übrigens aus dem gleichen Baujahr wie ich selbst, 1975) und wird von RWE Power AG betrieben. Ganz recht, das ist die Bude, bei der auch der österreichischer NRAbg, Ex-Bundeskanzler und Grasser-Macher Wolfgang Schüssel im Aufsichtsrat sitzt – und seit Jahr und Tag die daraus resultierende Ironie nicht begreifen will.
Die Atomkraftgegner ihrerseits jubilieren beinahe und fordern in – meines Erachtens unangenehmer – Kurzsichtigkeit die sofortige Abschaltung aller europäischen AKWs – was in logischer Konsequenz dazu führe, dass die entfallenden fast 15% des EU-Energiehungers teuer – und möglicherweise aus Kostengründen wiederum aus kernergieproduzierenden Ländern – importiert werden müssten.
Ganz ohne Öko- Fantasie: Raus aus Öl & Atom!
Es wird allerhöchste Zeit, dass der Ausstieg aus der Kernenergie in ihrer heutigen Form endgültig sowie großflächig beschlossen und raschestmöglich umgesetzt wird. Es wird Unfälle wie den am Freitag in Japan immer wieder geben (können) und ich sehe keinerlei Veranlassung, tagtäglich darauf zu warten, dass irgendwo wieder irgendwas passiert. Es arbeiten Menschen in AKWs, die durch wodurch auch immer ausgelöstes Fehlverhalten Unfälle verursachen können (siehe Tschernobyl 1986, Sewersk 1993, Three Mile Island, Pennsylvania 1979, etc.). Und es gibt Umweltfaktoren, die niemand erahnen oder voraussehen kann (siehe Fukushima 2011).
Was Goth (sic!) sei Dank noch keinen Eintrag in den Annalen gefunden hat, ist ein terroristischer Akt mit einem in einem AKW eingeschleusten Schläfer. Schon erstaunlich, dass das der deutschen Bundesregierung, die ja aufgrund der ständig und unmittelbar grassierenden Terrorgefahr bekanntlich am liebsten das halbe Internet zusperren würde und die Grundrechte beschneidet, wo sie nur irgendwie kann, noch gar nicht eingefallen ist, gell?
Hinzu kommen noch andere, ihrer Wahrscheinlichkeit nach tendenziell unbedeutende, Szenarien hinzu (Materialversagen, Wartungslücken, etc.), die halb Deutschland quasi dem Erdboden gleich machen könnten – und uns als Nachbarn gleich mit.
Ich finde, auf all das zu warten und auch weiterhin die bedeutenden Investitionsvolumina nicht in die nachhaltige Sicherstellung der Energiegewinnung durch ökologisch vertretbare Quellen umzuleiten, ist nun wirklich nicht der Weisheit letzter Schluss. Ok, ein paar Lobbyisten werden da noch gelegentlich protestieren, aber spätestens dann, wenn im Bereich der Green Energy ein ähnlich gutes Einkommen für sie erzielt werden kann, sind sie flott auf Schiene. Aus Überzeugung, versteht sich. 😉