Die Wahl der Qual
Es ist – in größerem Kontext betrachtet – schon erstaunlich, wie viel Wert einer Natonalratswahl in Österreich beigemessen wird. Welche Partei auch immer am 29. September als Sieger hervorgeht und mit wem sie welche Koalition eingeht, ist im Grunde so herrlich belanglos, wenn man die politische Realität einfach aus ein wenig seriöser Distanz betrachtet.
Die Wirtschaftspolitik wird sich weiterhin am „alternativlosen“ Kapitalismus orientieren, die globale Umverteilung von unten nach oben wird kaum vom kleinen Österreich aus zu bremsen sein, das Bildungswesen wird weiterhin bestenfalls homöopathisch weiterentwickelt und das Pensionssytem wird auch in fünf Jahren (weil teils von Finanzmarktentwicklungen abhängig) an einem seidenen Faden hängen. Kurzum: Der reale und empfundene Alltag der Menschen in diesem Land wird sich im Großen und Ganzen ebenso wenig aufgrund einer leicht variierten Zusammensetzung des Nationalrats verändern wie in den vergangenen Jahrzehnten.
Seit 1945 hatten wir bereits so ziemlich jede Konstellation an Regierungskoalitionen. Einzig die Grünen fehlen noch; Die durften bislang noch nie bei den Großen mitspielen. Was hat sich in all den Jahren verändert, was auf die Zusammensetzung des Nationalrats oder der Regierungsbank zurückzuführen wäre? Sicherlich gab es den einen oder anderen kleinen Ausschlag in die eine oder andere Richtung, aber die wirklich wesentlichen Veränderungen, die uns alle betrafen bzw. betreffen, wurden von der Politk lediglich mitgetragen und/oder träge in gesetzliche Rahmen geordnet.
Seien es nun Fortschritte im Kommunikationswesen, in der Medizin, im gesellschaftlichen Zusammenleben; All diese wurden von der Politik nur unwesentlich beeinflusst und kaum spürbar gehemmt oder forciert.
Nur ein paar Beispiele…
Keine der zur Wahl stehenden Parteien würden sich momentan an ein bedingungsloses Grundeinkommen machen. Sollte das Konzept doch noch irgendwann eine mehrheitsfähige Akzeptanz erlangen (was ich persönlich nur noch als eine Frage der Zeit betrachte), dann nicht aufgrund der Bestrebungen einer Partei oder Regierung, sondern aufgrund der Mobilisierung der Menschen, die sich von einem BGE einen Schritt nach vorne erhoffen.
Keine der zur Wahl stehenden Parteien stemmt sich mit der nötigen Vehemenz gegen die immer stärker drehende Spirale der Umverteilung von unten nach oben, größere (Geld-)Vermögen erscheinen auch weiterhin für alle schier unantastbar (obwohl paradoxerweise die überwiegende Mehrheit der WählerInnen spürbar davon profitierte!), Banken würden im Falle des Falles von jeder denkbaren Koalition gerettet und selbst die – immerhin in greifbare Nähe rückende – Finanztransaktionssteuer wird Österreich eine im Gesamtbudget vergleichsweise bescheidene Summe von rund 500 Millionen Euro einspielen – und selbst das vermutlich erst in vielen Jahren. Auch hier werden wir signifikante Veränderungen erst dann erleben, wenn die Menschen „aufwachen“ und mitbekommen, wie die Verteilungsmechanismen tatsächlich aussehen.
Keine der zur Wahl stehenden Parteien hat ein Ende des Föderalismus in seiner heutigen Form an prominenter Position im Programm. Da und dort ist in Nebensätzen zu lesen, dass die Macht der Landskaiser vielleicht doch irgendwann ein wenig nach unten nivelliert werden könnte, aber dominantes Thema ist das keines. Warum denn auch, solange die Protagonisten ja teils Kumpels aus den eigenen Reihen sind…?
Politik der kleinen Schritte. Der ganz, ganz kleinen Schritte.
Sicherlich gab es in einzelnen Legislaturperioden gewisse Akzente, die erkennbar wurden oder sich tatsächlich auf kleinere Gruppen von Menschen spürbarer auswirkten als auf andere. Dennoch wurden die wesentlichen Veränderungen nicht von der (heimischen) Politik getrieben. Eine wirklich umfassendere Veränderung betraf beispielsweise den Beitritt zur Europäischen Union, genauer die folgende Einführung einer neuen Währung. Die Parteien waren zwar maßgeblich an der Diskussion beteiligt und es gab einen adretten „Wahlkampf“ rund um die Volksabstimmung, dennoch war die Veränderung nur die logische Konsequenz aus über Österreichs Grenzen weit hinausgehende Entwicklungen.
Wie sollte sich auch viel ändern können? Die Verteilung der Mandate im Nationalrat ist zwar zuweilen durchaus volatil und aus zwei Großparteien sind im Laufe der vergangenen paar Dekaden vier Mittelparteien entstanden, aber so lange keine halbwegs seriöse Regierungskoalition ohne – je nachdem – etablierte Systempartei (namentlich SPÖ oder ÖVP) auskommt, wird ein dermaßen träger Klotz am Bein mitgeschleppt, der jede agile Bewegung im Keim erstickt. Es „muss“ weiterhin auf die Befindlichkeiten von irgendwelchen Parteianhängseln (Gewerkschaft, Bünde, etc.) Rücksicht genommen werden, es gibt weiterhin die jahrzehntelang perfekt eingeschliffene Korruption und dazu kommen natürlich auch noch die Landeskaiser, die – je nach Gutdünken – ihre Blockaden auf- oder abbauen. Alternativen dazu? Fehlanzeige.
Darüber hinaus wird die tatsächlich mittel- oder langfristig relevante Politik ohnehin nicht in Wien, sondern in Brüssel oder auf anderen internationalen Parketten gemacht, wo diverse Expertengruppen – natürlich unter wohlwollender Berücksichtigung von Lobbyisten und anderen Interessensvertretern aus der Wirtschaft oder sonst wo – Gesetzesentwürfe erarbeiten und zur Abstimmung bringen (lassen).
Fazit
Selbstverständlich werde ich trotz all dieser vergleichsweise nüchternen Gedanken artig mein (gültiges!) Kreuzerl auf den Stimmzettel malen und von meinem Wahlrecht Gebrauch machen.
Dennoch: Nachdem wir nun seit 1945 schon so ziemlich alle Kombinationen an Regierungskoalitionen hinter uns gebracht haben und sie alle im Grunde das Selbe oder zumindest weitestgehend Ähnliches „vollbrachten“, können wir getrost davon ausgehen, dass wir uns auch nach dem 29. September hingebungsvoll über die träge Politik echauffieren können – was allerdings auch ebenso wenig bringen wird wie bisher…