Korruption: Eine Frage der Kultur?
Die Geschichte der Korruption ist so alt wie die Geschichte der Menschheit selbst. Wo Einzelne mehr Macht oder Möglichkeiten zur Beeinflussung Anderer haben, entstehen zahlreiche Gelegenheiten, dies zum Wohle oder zum Schaden Dritter zu nutzen. So selten ersteres zu geschehen scheint, so sehr ist zweiteres an der Tagesordnung – nicht nur in der Politik.
Seit vielen Jahren ist so Manches faul im Staate Österreich. Die oft fälschlicherweise als „die Machthabenden“ titulierten Volksvertreter (die tatsächliche „Macht“ sollte in einer gesunden Demokratie immerhin vom Volke ausgehen) scheinen ihre Jobs in Regierungs- bzw. Legislativfunktionen keineswegs mehr auf die Bedürfnisse oder gar das Wohlbefinden der Bevölkerung auszurichten, sondern in erster Linie auf drei Dinge: Die Erhaltung der bereits erlangten Macht, deren Ausbau und – was aus meiner Sicht am bedenklichsten ist – zur persönlichen Bereicherung bzw. der der jeweiligen Partei.
Die Einen sichern ihre Position, indem sie sich mit anderer Leute Geld gezielt Gefälligkeiten erkaufen (zB. wohlwollende Berichterstattung ausgesuchter Medien oder illegitime Zuwendungen an „Lobbyisten“), Andere lassen sich kaufen, indem sie Geld für Leistungen annehmen, die einer seriösen Ausübung ihres Jobs diametral gegenüberstehen, wieder Andere haben mit beidem wenig am Hut und kassieren einfach gleich ungeniert höchstpersönlich oder für diverse „Freunde“.
Die Liste der Verfahren, die zur Zeit im Zusammenhang mit Korruption, Amtsmissbrauch und verwandten Tatbeständen laufen, ist lang. Beinahe atemberaubend sind die Summen, um die es geht. Hunderte Millionen Euro an Bestechungsgeldern, Lobbyingkosten und Steuerhinterziehungen stehen als fragliche Beträge im Raum, ganz zu schweigen vom sicherlich ebenfalls hunderte Millionen schweren Schaden, der den heimischen Steuerzahlern nicht entstanden wäre, wären all die dubiosen Geschäfte, die seit einigen Monaten Staatsanwaltschaften und Gerichte so intensiv auf Trab halten, korrekt abgelaufen.
Wie kann es sein, dass in einer modernen Demokratie, einer halbwegs gesunden Volkswirtschaft und einer – wie Österreich bzw. die Europäische Union so gerne bezeichnet werden – „christlichen Wertegemeinschaft“ solche Dinge nicht nur vorkommen, sondern gar an der Tagesordnung stehen?
Eine Frage der Kultur?
Aus meiner Sicht ist die Antwort im Umfeld der herrschenden „Kultur“ zu finden. In Österreich (und vermutlich bis ganz sicher auch darüber hinaus) ist es quasi zum Volkssport geworden, „dem Staat nix zu schenken“. Der kleine Häuslbauer versteuert die Arbeit auf seiner Baustelle nicht, der Unternehmer unterschlägt steuerschonend Geschäftseinkünfte, der Arbeitgeber nutzt – zu Lasten seiner scheinselbständigen Mitarbeiter – halbseidene Dienstverhältnisse, um Lohnnebenkosten zu sparen, der Investor tätigt seine steuerrelevanten Geschäfte zwar komfortabel von seinem Sitz im schönen Österreich aus, lenkt sie aber über irgendwelche Steueroasen in aller Welt. Diese Liste liesse sich freilich nahezu beliebig fortsetzen.
All das gehört „zum guten Ton“. Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist es ja im Grunde erschreckend, wie „normal“ all diese Vorgänge sind. Der Häuslbauer prahlt am Stammtisch, wieviel er sich an Steuer „erspart“ hat, der Unternehmer hält Fachvorträge vor interessierten Kollegen, wie man seine Lohnkosten in den Griff bekommt, indem man Mitarbeitern arbeitsrechtliche Privilegien vorenthält, der Investor erzählt in Interviews voller Stolz, mit welchen kreativen Firmengeflechten und schier undurchschaubaren Investmentprodukten er optimal die heimischen Steuerpflichten umschifft und so weiter.
Es scheint völlig O.K. zu sein, den Staat zu betrügen und es kümmert kaum jemanden, dass das alles illegal ist. Unlautere Machenschaften werden dann liebevoll als „steuerschonendes Wirtschaften“, Hinterziehung von Steuern als „geschickte Investmentstrategien“ und Ausbeutung von Mitarbeitern als „effektive Personalführung“ bezeichnet. Wer sich dagegen auflehnt und versucht, einen seriöseren Umgang mit all diesen Dingen zu pflegen, gilt gemeinhin als naiv oder schlicht selbst schuld.
Diese Herangehensweise, auf die Politik angewandt, bedeutet nichts anderes als das, was wir als Status quo nur zu gut kennen: Kaum ein Politiker, kaum eine Partei, die keinen Dreck am Stecken haben. Auch hier muss man bereits auf der „untersten Ebene“ mit der Betrachtung beginnen: Beim Gemeinderat der 500-Seelen-Gemeinde, der als „kleines Dankeschön“ für drei oder vier Abendessen den Parkplatz hinter dem Haus genehmigt, der bis kurz zuvor noch als Grünfläche gewidmet war. Beim Abteilungsleiter am Bauamt, der nach einem kurzen (fremdfinanzierten) Urlaub das zweite Stockwerk am Wohnhaus des „Gönners“ bewilligt. Beim Bezirksrat, der sich dafür einsetzt, dass eine Einbahn zugunsten des dort ansässigen Kumpels umgedreht wird. Der Bürgermeister, der nach einer Wahl für sanfte Verschiebungen im Wahlergebnis sorgt. All das sind Fälle von Korruption, die freilich in ihrem entstehenden „Gesamtschaden“ teils marginal erscheinen mögen, aber nichtsdestoweniger Symptom dafür sind, dass es „O.K.“ ist, den gesetzlichen Rahmenbedingungen ein Schnippchen zu schlagen, solange nur Keiner zu genau hinschaut.
Was nun, wenn sich diese Denkweise bis in die höchsten Ebenen zieht und aus der kleinen Bewilligung des Parkplatzes plötzlich Beschaffungen des Bundes in Milliardenhöhe werden? Was, wenn es anstelle des Verkaufs kleiner Bauparzellen um Verkäufe des „Familiensilbers der Republik“, also großer im Eigentum des Staates stehender Unternehmen (etwa Austria Tabak, Buwog, etc.) geht? Was, wenn es anstelle des Mittagessens für den Bürgermeister plötzlich um Euro-Millionen für irgendwelche Parteikassen geht?
Es ist aus meiner Sicht allerhöchste Zeit, nicht Einzelne Unsympathler vor den Kadi zu zerren und medienwirksam in der Luft zu zerfetzen. Den schönen Karl-Heinz wegen seiner Machenschaften hinter Gitter zu stecken, den Kärntner Landes-Uwe für seine Parteispendengeschichten mit nassen Fetzen aus der Landesregierung zu jagen und den fröhlich Werbebudgets an befreundete Medien verteilenden Grinsekanzler aus dem Amt zu kicken wird natürlich keine Lösung der grundsätzlichen Problematik sein.
Aber es wäre ein Anfang! Und ein wichtiger noch dazu!
Es muss Schluss damit sein, dass der Staat als eine Art Selbstbedienungsladen betrachtet wird, aus dem ich so lange entnehmen kann, was noch irgendwie oberflächlich vertuscht werden kann, weil ohnehin Keiner genauer nachschaut. Am Ende des Tages muss völlig klar sein, dass Verbrechen, wie sie jetzt nach und nach ans Tageslicht kommen, mit aller Konsequenz geahndet werden und es absolut keine Toleranz geben kann, wenn illegale Machenschaften aufgedeckt werden. Es muss der Umkehrprozess hin zu einem Denken einsetzen, dass es nicht erst einer Verurteilung bedarf, um „schuldig“ im Sinne der Korruption zu sein. In den Köpfen der Akteure des politischen Systems muss neuer Anstand, eine neue Moral verankert sein, die nicht nur den Gedanken, die eigene Macht ungestraft missbrauchen zu können, völlig außen vor lässt. Eine Moral die klar macht, dass „Schuld“ nicht ausschließlich in Gesetzbüchern festgeschrieben ist, sondern ebenso in Werten und Haltungen.
Dies gilt im Kleinen, wo man beim Lohnsteuerausgleich nicht den (Spiel-)Computer des heranwachsenden Kindes als Arbeitsgerät geltend macht oder wo man sich vom Handwerker nicht nur die halbe Dienstleistung offiziell verrechnen lässt. Dies gilt aber auch im Großen, wenn sich Politiker nicht erst dann als schuldig betrachten, wenn ihre Vergehen mittels Gesprächsaufzeichnungen illegaler Vereinbarungen, durch Auftragsbestätigungen über halbseidene „Medienkooperationen“ oder anhand von Nachweisen astronomisch überteuerter „Studien“ mehr als nur klar nachvollziehbar sind.
Solange allerdings Politiker für ihr unlauteres Handeln keine persönlichen Konsequenzen ziehen müssen (und damit meine ich freilich nicht nur ein „freiwilliges“ Niederlegen eines Nationalratsmandates oder den Rücktritt von einem Amt), solange wird es weitergehen wie bisher – im Kleinen wie im Großen.
Schluss mit der „Wo kein Kläger, da kein Kadi“-Mentalität!
Es darf einfach nicht sein, dass ein gutes Drittel der Regierungsbank eines einzigen Kabinetts so gut wie vor dem Kadi steht und der Rest der beteiligten Parteien völlig selbstsicher von der bösen linken Jagdgesellschaft schwadroniert, die die supersauberen Damen und Herren lediglich anpatzen will. Es darf einfach nicht sein, dass amtierende Landesregierungsfunktionäre von einem Gericht verurteilt werden, aber keineswegs an Konsequenzen denken, weil man auf das nächstinstanzliche Urteil wartet. Es darf einfach nicht sein, dass Nationalratsabgeordnete ihr Mandat behalten, die in dringendem Verdacht stehen, unrechtmäßige Zahlungen eines Unternehmens angenommen zu haben, mit denen man in der Vergangenheit als Minister direkt zu tun gehabt hatte.
Solange jedoch all diese Dinge (und wer weiß was noch alles, wovon wir heute nur noch nicht wissen) ungestraft an der Tagesordnung sind, solange wird der „Selbstbedienungsladen Österreich“ auch weiterhin seine Pforten weit geöffnet halten und allen jenen weit offen stehen, die ihr Rückgrat und ihren Ethos – wie so viele Andere vor ihnen – mit Eintritt in die jeweilige Partei abgegeben haben.
Wurscht. Weil’s halt so is‘.
Es wird schon keiner ‚was sagen.
Wir können nur hoffen, dass der Wind, der aktuell – nicht nur im Rahmen der Aufarbeitung der „glorreichen Ära“ Wolfgang Schüssels – durch Wirtschaft und Politik weht, zu einem Orkan erwächst, der dazu beiträgt, den oben erwähnten Umdenkprozess einzuleiten. Nachhaltig und unausweichlich.