Lehrer-Streik & verhärmte Ministerin: Schwere Prüfungen für Österreichs Bildungswesen
Zwei Stunden pro Woche mehr in der Schulklasse sind der Stein des Anstoßes: Bundesministerin Claudia Schmied möchte Österreichs Pädagogen in die Pflicht nehmen und sie zusätzliche zwei Stunden das tun lassen, wozu sie ausgebildet sind und wofür sie meines Erachtens in erster Instanz bezahlt werden: Unterrichten. Die Reaktion der Gewerkschaft: Sicher net.
Wichtiger Hinweis: Es geht hierbei vordergründig nicht um eine Verlängerung der Arbeitszeit, wie ständig von Seiten der Gewerkschaft (den Begriff Personalvertretung umgehe ich bewusst) gelästert wird. Die Arbeitszeit von 40 Wochenstunden soll keineswegs ausgeweitet werden. Und selbst die Bundesministerin Schmied behauptet nicht, dass diese Maßnahme alleine funktionieren wird um (a.) die Kosten für das Schulwesen in das chronisch viel zu enge Budgetkorsett zu pressen oder gar (b.) die Qualität des Unterrichts nachhaltig zu erhöhen.
Leider kamen jedoch im ursprünglichen Schreiben der Bundesministerin Schmied keinerlei Hinweise darauf vor, welche weiterführenden Reformen sie anstrebt, um die physische und psychische Mehrbelastung der Lehrer durch die ausgeweitete Lehrverpflichtung (immerhin der mit großem Abstand belastendste Part dieses Berufs) zu kompensieren, etwa durch entgegegenwirkende Entlastung im Bereich der Administration, Reduktion der teils recht zeitintensiven Kustodiate oder dergleichen mehr. Es handelt sich hierbei definitiv nur um einen ersten kleinen von vielen dringend nötigen Schritten, um das heimische Bildungswesen „fit for future“ zu machen.
Konzepte, Idee, und Visionen zur nachhaltigen Verbesserung des österreichischen Bildungssystems sind vielerorts nachzulesen, beispielsweise in der Studie „Future of Education“, daher kann und werde ich an dieser Stelle nicht im Einzelnen darauf eingehen.
Kritik hinsichtlich der Art und Weise, wie die Pläne der Ministerin an die betroffenen Lehrer kommuniziert wurden (offener Brief mit „vollendeten Tatsachen“), kommt naturgemäß von vielen Seiten und ist teilweise sogar legitim. Es war allerdings auch zu vernehmen, dass die Ministerin unter Zugzwang stand, weil sie ein Durchsickern der Maßnahme durch Indiskretion befürchtete. Die Art und Weise, wie GÖD und andere Gewerkschaften reagieren, ist jedoch mindestens ebenso fragwürdig. An dem Tag, an dem Claudia Schmied mit der Maßnahme an die Öffentlichkeit ging, kamen seitens Neugebauer, Zahradnik & Co nahezu ausschließlich Meldungen mit Un- bis Halbwahrheiten à la „zwei Stunden mehr arbeiten bei gleichem Gehalt“ oder gar „10 Prozent weniger Gehalt“. Selbstberständlich blieben auch die allseits beliebten Gewerkschaftsschlager „Schlag ins Gesicht“, „Skandal“ und „Kriegserklärung“(!) nicht aus.
Nachdem auch seitens Finanzminister und Vizekanzler Josef Pröll vom Regierungspartner ÖVP kaum Unterstützung kommt und die Gewerkschafter von ihrer Streikdrohung nicht abrücken wollen, droht nun Ministerin Schmied ihrerseits via Standard-Interview mit Rücktritt. Grund: Ohne diese Verlagerung der Arbeitszeit als ersten Schritt ist die nachhaltige Reform des Bildungssystems aus ihrer Sicht nicht möglich. Darüber hinaus sieht Schmied wohl auch ihr Prestigeprojekt „Mittelschule neu“ durch etwaige Einsparungen substantiell gefährdet.
Originelles Detail am Rande: Die Grünen zeigen volles Verständnis für den Unmut der Lehrer und vor allen Dingen für deren Streik-Pläne, während FPÖ und BZÖ einhellig vollinhaltlich hinter der (SPÖ-)Bundesministerin stehen. Üblicherweise sind Übereinstimmungen zwischen meinen Ansichten und denen der Grünen bzw. FPBZÖ ganz anders verteilt…
Der Pädagoge, das unbekannte Wesen
Die Lehrerschaft genießt in Österreich ein äußerst ambivalentes Image. Einerseits geben wir unsere Kinder nahezu bedenkenlos in ihre Hände und schießen schier grenzenloses Vertrauen vor, andererseits betrachten wir sie angesichts der vielen Ferienzeiten und der – scheinbar – kurzen Arbeitszeit als höchst privilegiert.
Ersteres, das Anvertrauen unseres Nachwuchses, können wir kaum umgehen, ist es doch innerhalb der gesetzlichen Schulpflicht unumgänglich, ein in Österreich lebendes Kind mit sechs oder sieben Lenzen in die Volksschule und in weiterer Folge in Haupt- oder Mittelschule zu stecken, wo sie von Menschen auf den Ernst des Lebens vorbereitet werden sollen, die das ausbildungsbedingt besser zu bewerkstelligen vermögen als der Durchschnittsbürger.
Zweiteres, den Neid aufgrund der auf den ersten Blick weit reichenden Vorteile des Lehrerberufs, sollte man vielleicht doch noch einmal kritisch hinterfragen.
Massig Urlaub
14 Wochen Ferien? Feine Sache! Allerdings nur dann, wenn man bereitwillig darauf verzichtet, flexibel zu verschiedenen Anlässen Urlaub zu nehmen. Man ist also genau dann zu Gast im hübschen Ferienparadies, wenn „alle Anderen“ auch dort sind, nämlich zu den Ferienzeiten, wenn sich Familien aus aller Welt auf den Weg ins Urlaubsdomizil machen. Natürlich bekommt man auch als Lehrer keine Rabatte in den Hauptsaisonen – die günstigen Nebensaisonen fallen entsprechend flach, ebenso wie das gemütliche verlängerte Wochenende mit dem Partner, der sich aufgrund seiner Beschäftigung ausserhalb des Schulwesens Urlaub nehmen kann, wann immer er will bzw. er es mit seinem Chef halbwegs unter einen Hut bringen kann (laut Arbeitsrecht hat der Arbeitgeber de facto nur recht überschaubare Möglichkeiten, einem Urlaubsansuchen seines Dienstnehmers nicht zu entsprechen).
Freie Einteilung der Arbeitszeit & ein gemütlicher Arbeitsplatz
Die flexible Einteilung der (Wochen-)Arbeitszeit wird dadurch relativiert, dass man als Lehrer einen nicht gerade kleinen Bereich seines privaten Wohnraums der Arbeit unterordnen muss. Das Arbeiten in der Schule selbst ist nämlich nicht immer möglich – genauer gesagt nur dann, wenn in den Räumlichkeiten der Lehranstalt zufällig am Nachmittag „geöffnet“ ist (Abendschulen, Sportvereine mieten den Turnsaal,…). Ist dies nicht der Fall, muss man seine Unterrichtsvorbereitungen, Korrekturen von Schularbeiten bzw. Tests und alle anderen Arbeiten, die abseits des Unterrichts und der Klassenzimmer anfallen, zu Hause verrichten.
Pädagogen, die ihren Job auch nur halbwegs ernst nehmen, kommen zudem mit einem kleinen Notebook, einem Drucker der Einstiegsklasse und zwei, drei Aktenordnern selbstverständlich bei weitem nicht aus. Da stapeln sich je nach Schultyp Arbeitsblätter, Bastelmaterialien, Schulbücher, Sachliteratur, Weiterbildungsmaterial und vieles mehr, was sich in seiner Gesamtheit in einem durchschnittlichen Wohnzimmer eher weniger dekorativ einfügt.
In den Zeiten, in denen man in der Schule selbst arbeiten kann, rauft sich nicht selten der gesamte Lehrkörper um einen alten (ergo langsamen) Kopierer, benützt gemeinsam einen einzelnen PC (manchmal gar ohne Internetanbindung) und dem einzelnen Lehrer steht ein erquicklicher Quadratmeter zur Verfügung, wo er alle seine Unterlagen, Schularbeitshefte, Materialien und so weiter zusammenpfercht.
Personalentwicklung & Leistungsbeurteilung
Jeder Arbeitnehmer, der in einem Unternehmen arbeitet, dass sich mehr oder weniger aktiv um sein Personal kümmert, genießt eine Menge Vorteile gegenüber jedem einzelnen Lehrer Österreichs, unter anderem Feedback von seinem Chef und/oder seinen Kollegen. In ganz besonders fleissigen Unternehmen ist das Orientierungs-/ Entwicklungs- /Mitarbeitergespräch ein fixer Bestandteil der Personalentwicklung. In diesen Gesprächsrunden erhalten Mitarbeiter und Führungskraft Rückmeldung über die Arbeitsleistung und es werden auch Fragen über zukünftige Entwicklungen erörtert.
Feedback in der Schule? Fehlanzeige. Es gibt es nicht einmal irgendeine Überprüfung oder einen Nachweis, was der Lehrer so macht, wenn er am frühen Nachmittag vom Schulwart aus dem Schulgebäude ausgesperrt wird. Zu diesem Thema gibt es interessanterweise auch keinerlei wissenschaftlichen Erhebungen.
Sicherlich gibt es einen nicht zu vernachlässigenden Anteil an Pädagogen, die sich abseits des Klassenzimmers emsig vorbereiten, weiterbilden und sich konzentriert den Arbeiten der Schüler widmen, um zu erkennen, wo es Defizite oder auch besondere Talente gibt – und den aus diesen Erkenntnissen resultierenden Anforderungen auf die eine oder andere Weise entsprechen.
Ich vermute jedoch am anderen Ende des Spektrums eine kaum schätzbare (und nicht zu kleine) Anzahl von Lehrern, die nach Hause gehen und als ausreichende Unterrichtsvorbereitung das Einpacken der richtigen Unterlagen für den nächsten Tag betrachten, um den restlichen Tag im Schwimmbad, im Park, vor der Spielkonsole oder wo auch immer zu verbringen. Weiterbildung: Wozu? In der anerkannten Lehrmeinung hinsichtlich Zellteilung hat sich für den Bio-Professor ohnehin kaum etwas seit den 70ern getan und das Englisch geht eh noch ganz ordentlich über den Lippen. In der Geografie muss man sich gerade mal eine Handvoll neue europäische Staaten merken, die in den vergangenen paar Jahrzehnten hinzugekommen sind und die Kontinente werden wohl noch ein Weilchen annähernd die gleiche Form haben…
Austausch unter Kollegen & Betreuung
Kontakt mit Kollegen und Vorgesetzten findet maximal in den Pausen statt – gesetzt dem Fall, man hat nicht ohnehin genug damit zu tun, in den wenigen Minuten einer Schulpause seine Sachen zu packen und von Klassenraum A nach Klassenraum B zu kommen. Bei Gangaufsicht oder anderen Verpflichtungen, die die Pausen zunichte machen, bleibt auch diese Interaktion aus.
Selbst zu Beginn seiner Karriere – wobei das Wort „Karriere“ angesichts der dürftigen Entwicklungsmöglichkeiten im Schulwesen nicht ganz zutrifft – hat der junge Pädagoge kaum Betreuung durch erfahrene Kollegen oder Führungskräfte. Mentoring, Coaching oder andere einigermassen zeitgemäße Unterstützung finden selten bis niemals Anwendung. Das höchste der Gefühle ist die psychologische Beratung oder Betreuung im Akut- oder Bedarfsfall.
Fazit
Dass enormer Handlungsbedarf zur Modernisierung und Verbesserung unseres Schulwesens gegeben ist, bestreitet wahrscheinlich nur eine verschwindende Minorität in diesem Land. Es werden massive Änderungen im Schulunterrichtsgesetz, im Schulorganisationsgesetz und im LehrerInnendienstrecht einschließlich Besoldung umgesetzt werden müssen, um unsere Kinder in Zukunft optimal auf die Erfordernisse des (Berufs-)Lebens vorzubereiten.
Dennoch darf auch nicht riskiert werden, die Lehrerschaft und deren Wohlbefinden dazu zu missbrauchen, die Veränderungen im Bildungssystem zu finanzieren. Die enormen Anstrengungen des Berufs dürfen keineswegs ignoriert werden, auch wenn sie für die Öffentlichkeit nur sehr schwer wahrnehm- oder abschätzbar sind und möglicherweise auch großen saisonalen Schwankungen unterliegen.
Nimmt ein Lehrer seinen Beruf und seine – durchaus beträchtliche – soziale Verantwortung auch nur halbwegs ernst, so wird er künftig – so es keine Entlastung in anderen Aufgabenbereichen gibt – tatsächlich ein, zwei oder auch mehr Stunden zusätzlich arbeiten müssen, um einen qualitative hochwertigen Unterricht gewährleisten zu können. Andere Kollegen, die es bis dato schon nicht ganz so ernst mit der Erfüllung der Arbeitszeit genommen haben, werden durch eine Ausweitung der Dienstverpflichtung im schlimmsten Fall noch mehr bei den wichtigen Tätigkeiten abseits der Klassenzimmer wie Unterrichtsvorbereitungen, Organisationen von Veranstaltungen, Kontakzt zu den Eltern oder Weiterbildung „sparen“.
Alle Pädagogen an öffentlichen Schulen dürfen jedoch bei allem Unmut nicht vergessen: Sie haben einen einigermassen sicheren Job (in Krisenzeiten wie diesen kann das bei weitem nicht jeder Arbeitnehmer von sich behaupten!), trotz wenig flexibler Einteilbarkeit enorm langen Urlaub und sie verbringen mehr – hoffentlich sinnvoll genutzte – Zeit mit unseren Kindern, um deren Zukunft es in dieser Angelegenheit schlussendlich geht!
Also bitte, liebe Gewerkschafter: Ein großer Befürworter eines funktionierenden Arbeitnehmervertreterwesens bittet Euch inständig um seriöse Ausübung Eurer Pflicht: Die Suche nach konstruktivem Dialog, Erarbeitung von Konzepten unter Zuhilfenahme der zahlreichen Bildungsexperten dieses Landes, zukunftsorientiertes Denken bzw. Handeln in Anbetracht kommender Herausforderungen und nicht um fortwährende Demonstration, wie beharrlich Ihr hinsichtlich der krampfhaften Erhaltung eines dringend zu reformierenden Systems sein könnt!
Also ich muss schon sagen das es eigentlich eine Riesenfrechheit ist, überhaupt darüber nachzudenken, das die Lehrer mehr arbeitens sollen.
Laut Studie arbeiten die Lehrer aufs Jahr bezogen genauso viel wie andere Berufe (siehe http://www.zalbs.salzburg.at/archiv/lehrerarbeitszeit.htm).
Außerdem ist die Belastung in diesem Beruf höher als in manch anderen und deswegen müssen so viele Lehrer in Frühpension gehen. Und jetzt soll die Belastung noch höher werden?
Wieso denkt man nicht darüber nach die 41 oder 42 Stunden Woche einzuführen für alle, und nicht nur den Lehrern mehr aufzubürgen?