Die Geschichte des ORF ist eine Geschichte voller Missverständnisse
Sie ist wieder da: Die große Diskussion um die Online-Aktivitäten des ORF, genauer gesagt jene in Social Media-Plattformen. Konkreter Anlass: Das so genannte „Facebook-Verbot“ zwingt den ORF in erster Linie, 39 seiner Facebook-Seiten stillzulegen. Die Meinungen dazu sind zwiegespalten: Die GIS-Gegner und ORF-Mitbewerber jubeln, beim ORF selbst und zahlreichen Usern bzw. Fans der entsprechenden Seiten ist man naturgemäß anderer Ansicht. Ich selbst stehe irgendwo nahe der Mitte – jedoch mit erkennbarer Neigung Richtung ORF.
Hintergrund: Der VwGH hat der ORF-Beschwerde gegen das so genannte „Facebook-Verbot“ nicht entsprochen, sondern den Bescheid des Bundeskommunikationssenats bzw. der Medienbehörde KommAustria bestätigt. Demzufolge muss der ORF möglicherweise (ein Entscheid des VfGH steht noch aus) demnächst 39 „Facebook-Angebote“ stilllegen bzw. in die Hände der „Fans“ übergeben. Aus dem Spruch des VwGH: „…derartige Online-Angebote aus Wettbewerbsgründen grundsätzlich anderen Medienunternehmen vorzubehalten.“
Das ORF-Gesetz und seine diversen Novellierungen nicht im Wortlaut kennend, kann ich natürlich in vielen Punkten nur Mutmaßungen anstellen. Dies trifft allerdings ohnehin auf rund 98% der Kommentierenden zu, insofern kann ich halbwegs ruhigen Gewissens auch meinen Beitrag zur Diskussion leisten – immerhin habe ich zumindest einen Blick auf das ORF-G geworfen. Dies kann man übrigens jederzeit beim RIS des BKA nachholen.
Auf den ersten Blick scheint die Thematik ja einigermaßen klar: Der ORF erhält Zuschüsse über die GIS (also eine Art Steuer) und ist im Gegenzug verpflichtet, einen öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag zu erfüllen. Darüber hinaus darf er sich über Werbeeinnahmen finanzieren und zahlreiche über Hörfunk und Fernsehen hinausgehende Aktivitäten setzen (Events, Onlinepräsenzen, etc.).
Um umgekehrt eine ungebührliche Dominanz der öffentlich subventionierten Sendeanstalt zu unterbinden und Privatanbietern somit die Möglichkeit zu geben, für (ebenfalls im öffentlichen Interesse stehende) Medienvielfalt zu sorgen, gibt es eine Limitierung der Werbezeiten und -plattformen. Gäbe es diese Einschränkungen nicht, könnte vermutlich kein Privater neben dem übermächtigen ORF überleben und das – in höchstem Maße erstrebenswerte – Ziel der Medien- und Meinungspluralität würde klar verfehlt. Bereits jetzt ist ist die Existenz neben dem ORF kein Honiglecken und die Marktmitbestreiter kämpfen dementsprechend hart und vehement gegen den Platzhirschen ORF.
Ich möchte in diesem Beitrag auf zwei der wesentlichen Themen in der nicht enden wollenden Diskussion rund um den ORF eingehen, nämlich den Bildungsauftrag und die strukturellen Auflagen, die dem ORF per ORF-G umgehängt werden. Die faktische, aber in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend kommunizierte Grundlage der teils sehr harschen Kritik, dem Wettbewerbsnachteil für private Medienhäuser, dem sich die Marktbegleiter ausgesetzt sehen, lasse ich bewusst außen vor.
Bildungsziel: Den Bildungsauftrag des ORF verstehen
Zuallererst möchte ich auf den Vorwurf eingehen, der ORF verfehle seinen Bildungsauftrag. Nun, hierzu müsste man diesen erst einmal in seiner genaueren Bedeutung beleuchten und betrachten. Diese besteht nicht etwa in einer Art Schulersatz, also sozusagen Ausbildung, sondern vielmehr darin, den Österreichern und -innen die Möglichkeit zu geben, sich über politische, kulturelle und soziale Themen zu informieren. Im §4 „Programmauftrag“ des ORF-Gesetzes (ORF-G) sind im 1. Absatz konkret 18 Punkte aufgelistet, die es zu erfüllen gilt, darunter etwa der Quotenhit „die Vermittlung und Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft“ (Pkt. 5), der Blockbuster „die angemessene Berücksichtigung der Bedeutung der gesetzlich anerkannten Kirchen und
Religionsgesellschaften“ (Pkt. 12) oder das allseits beliebte Allerweltsthema „die angemessene Berücksichtigung und Förderung sozialer und humanitärer Aktivitäten, einschließlich der Bewusstseinsbildung zur Integration behinderter Menschen in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt“ (Pkt. 19). Immerhin: Der Punkt 8 lautet knapp „Darbietung von Unterhaltung“.
Das ORF-G schreibt allerdings nicht vor, in welchen Programmen welcher der Auftragsteile wie erfüllt werden muss. So bietet sich dem ORF die Möglichkeit, den gesetzlichen Auftrag über die Vermittlung der vorgeschriebenen Inhalte über mehrere Sender zu verteilen. Geregelt ist deren Mindestanzahl (österreichweit zwei Fernseh- und zwei Hörfunkprogramme, jeweils ein weiterer Radiosender pro Bundesland), nicht jedoch die Verteilung der Aufgaben aus dem Bildungsauftrag. So ist es aus meiner Sicht völlig in Ordnung, wenn ORF1 Trash (siehe Pkt. 8) spielt, während ORF2 News, Kultur oder Themen für kleinere Interessentenkreise bringt. Selbiges gilt natürlich sinngemäß für Ö3 und Ö1.
Wenn nun aber ein Gebührenzahler hingebungsvoll die Verfehlung des öffentlich-rechtlichen Auftrags anprangert, aber ausschließlich auf das verzichtbare ORFeins-Programm während des Vorabends hinweist oder die teils höchst fragwürdige Playlistgestaltung von Ö3 in Frage stellt, darf man dieses Argument ruhigen Gewissens hintanstellen oder zumindest kurz nachhaken, ob die- oder derjenige auch hin und wieder Ö1 verfolgt oder ob im Senderspeicher seines TV-Geräts ORFIII überhaupt vorkommt. Ebendort findet sich eine Fülle an guten Argumenten, mit denen man die – zumindest weitestgehende – Erfüllung des Bildungsauftrags gemäß Â§4 ORF-G untermauern kann.
Sicherlich sind die großen Reichweitenbringer des ORF keine Bildungssendungen im engsten Sinn. Die große Chance, das Seitenblicke-Magazin, billige US-Sitcoms oder die Show der Frau Karlich können nicht einmal unter schmerzhaftesten Verrenkungen in die Nähe des Begriffs „Bildung“ gezerrt werden. Wesentlich ist jedoch die Erkenntnis, dass auch der ORF selbst nicht einmal annähernd danach trachtet, diese und vergleichbare Formate als wesentlichen Teil der Erfüllung seines öffentlich-rechtlichen Auftrags zu betrachten (mal abgesehen von §4 Abs.1 lit. 8: „Darbietung von Unterhaltung“).
Ein wesentlicher Bestandteil des Bildungsauftrags ist hingegen die professionelle und qualitativ hochwertige Vermittlung von News und Information. Keinerlei Abhängigkeit, möglichst geringe Beeinflussung durch Personen, Unternehmen, Kirchen oder Parteien wird groß geschrieben.
Ob dies im Einzelfall funktioniert, sei freilich dahingestellt. Solange es ein ORF-G gibt, dass durch ein politisches Gremium (den Nationalrat) beschlossen oder geändert wird und von einer Behörde überwacht wird (KommAustria), die ebenfalls unmittelbar politischem Druck ausgesetzt ist – immerhin ist sie eine Dienststelle des Bundeskanzleramtes -, ist (partei-)politische Einflussnahme kaum seriös ausschließbar.
Technik unter dem Teppich
Was in der Diskussion ebenfalls sehr gerne unter den Teppich gekehrt wird, sind zahlreiche technische Anforderungen, die das ORF-G dem ORF vorschreibt, was Infrastruktur und Sendekapazitäten anbelangt. Im Gegensatz zu einem privaten Anbieter, der sich niemals zu einer Erreichbarkeit seines Programms für jeden Staatsbüger (bzw. Gebührenzahler) verpflichten muss, steht der ORF mit der gesetzlich verankerten Aufgabe da, selbst im hintersten Zipfel eines jeden entlegenen Alpentals auf terrestrischem Wege empfangbar sein zu müssen – mit sämtlichen fünf Senderangeboten. ATV, Servus-TV oder Radio 88.6 können zu jedem beliebigen Zeitpunkt beschließen, ihre Erreichbarkeit auf wesentlich ertragreichere Ballungszentren zu konzentrieren. Dem ORF wäre es aufgrund gesetzlicher Auflagen gar nicht erst erlaubt, schwerer erreichbare Haushalte aus der Versorgung auszuschließen, die zwar vermarktungstechnisch möglicherweise wertlos sind, deren Versorgung aber einen teils enormen technischen Aufwand mit sich bring.
Anmerkung: Natürlich ist hier fast ausschließlich von terrestrischer Ausstrahlung (DVB-T) die Rede. Auch unter dem Gesichtspunkt der rasant fortschreitenden Verbreitung von Kabelangeboten oder Satellitenempfangsanlagen bleibt im ORF-G eine flächendeckende Erreichbarkeit via „Zimmerantenne“ vorgeschrieben.
Auch die Pflicht zur Erhaltung der neun Landesstudios (plus einem weiteren, wesentlich kleiner dimensionierten in Südtirol) muss meines Erachtens stärker in die Diskussion eingebracht werden. Diese ist gesetzlich vorgeschrieben (§5 Abs.1 ORF-G) und erfüllt wesentliche Bereiche des Bildungsauftrags – speziell hinsichtlich der Regionalität der Programmgestaltung. Sie wirft allerdings auch enorme Kosten auf, die dementsprechend laufend diskutiert werden. Mehr als 1.000 Mitarbeiter sind alleine in diesem Bereich beschäftigt, die Gesamtkosten betragen jährlich mehr als 150 Millionen Euro. Zwar sind die Landesstudios keine reinen Cost-Center, aber die ganz großen Einkünfte werden in der Regionalberichterstattung nicht unbedingt erzielt.
No Facebook, please!
Seit einigen Jahren ist der ORF selbstverständlich auch im Internet mit eigenen Plattformen und Angeboten aktiv. Anfänglich mit der Homepage orf.at, die neben Unternehmensinformationen und Programmhinweisen auch News anbot. Es folgten die TV-Thek, zahlreiche weitere Aktivitäten und schließlich entdeckte auch der ORF die Social Networks. Ebendiese Aktivitäten werden ihm nun verboten, da sie den Wettbewerb verzerren sollen.
Im Jahre 2010(!) folgte eine Novellierung des ORF-Gesetz, in der auch die Online-Aktivitäten einer genaueren Regelung unterworfen wurden. Demnach darf der ORF jederzeit gerne in Facebook Seiten schalten, allerdings nur unter den im §4e ORF-G enthaltenen Hinweisen auf den öffentlich-rechtlichen Kernauftrag. Er darf demzufolge
1. Information über den Österreichischen Rundfunk und seine gemäß Â§ 3 veranstalteten Programme und bereitgestellten Angebote;
2. eine tagesaktuelle Überblicksberichterstattung (Abs. 2);
3. die Begleitung der in den Programmen nach § 3 Abs. 1 und 8 ausgestrahlten Sendungen (sendungsbegleitende Inhalte; Abs. 3) und
4. einen Abrufdienst für die in den Programmen nach § 3 Abs. 1 und 8 ausgestrahlten Sendungen (Abs. 4).
Angesichts dessen schießt die Bezeichnung „Facebook-Verbot“ ohnehin drastisch über den tatsächlichen Inhalt hinaus. Der Aufbau einer Online-Community unter Verwendung des Facebook-Ecosystems ist aber halt tatsächlich nicht mehr möglich. Ob dies den Marktbegleitern sonderlich große Vorteile einräumt, sei dahingestellt. Da geht’s aber vermutlich um’s Prinzip. Oder so.
Einem Rundfunkanbieter die derzeit schnellstwachsende Kommunikationsform als Kontaktmöglichkeiten mit und zu seinen Seherinnen und Sehern einschränken zu wollen, grenzt aus halbwegs objektiver Betrachtung jedoch an Hohn.
Fazit
Das „Spiel der freien Märkte“ funktioniert in zahllosen Bereichen einigermaßen gut. Das beste Produkt, das beste Marketing oder der beste Preis führen zu Erfolg oder Misserfolg. Sobald ein öffentliches Interesse besteht, ist eine solche Freiheit mit entsprechender Vorsicht zu genießen. Die ÖBB muss beispielsweise jedes Provinzdorf mit einem Bummelzug versorgen, die Westbahn darf aber auf der lukrativsten Strecke um Passagiere buhlen, ohne sich um weniger ertragreiche Linien scheren zu müssen. Die Post muss quasi jeden Bergbauernhof mit einem nahegelegenem Postamt bedienen, private Zustelldienste können sich auf gewinnträchtige Ballungsräume konzentrieren, ohne auch nur ein einziges Logistikzentrum errichten zu müssen, das eventuell nur defizitär betreibbar ist.
Dementsprechend kann man auch nicht dem ORF den Bildungsauftrag umhängen, die landesweite Erreichbarkeit abringen und ihn als Informationsmedium im Zivilschutz- bzw. Katastrophenfall benutzen, sondern muss ihm – aus meiner Sicht – auch Zugeständnisse machen und darf ihn nicht von aktuellen Kommunikationsentwicklungen abschneiden. Das ist so, als würde man – wie im obigen Beispiel – den ÖBB den Bau von Bahnhöfen und der Post die Nutzung zeitgemäßer Fahrzeuge zur Zustellung verbieten. Beides bringt dem Mitbewerb wenig, der gesetzliche Auftrag ist aber gefährdet.
Die oft sehr hingebungsvollen und stets hartnäckigen ORF-Kritiker sind erfahrungsgemäß schwer zufrieden zu stellen: Ist der ORF ausschließlich mit Fernsehen und Radio aktiv, wird er als vorsintflutlich und altbacken dargestellt. Bewegt er sich – zudem geschickt – in digitale Medien vor, wird er vom Mitbewerb auf’s Heftigste verbissen.
Man hat’s halt oft nicht leicht…
Eine Antwort
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